Hamburg – Verbot der Doppelbestrafung: Mordanklage gegen Harry S. nicht zugelassen

Mittelrhein-Tageblatt - News aus Hamburg - Aktuell -Hamburg – Mit Beschluss vom 12.10.2017 hat der 3. Strafsenat (Staatsschutzsenat) des Hanseatischen Oberlandesgerichts die Zulassung der Anklage gegen den 29-jährigen Harry S. aus Bremen abgelehnt, der wegen einer Beteiligung an der Hinrichtung von sechs IS-Gefangenen im Juni 2015 des Mordes beschuldigt wird. Das im Grundgesetz verankerte Verbot der Doppelbestrafung steht einer erneuten Strafverfolgung entgegen, nachdem der Angeschuldigte bereits im Juli 2016 wegen der Mitgliedschaft im IS zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden ist. Der jetzt erhobene Vorwurf ist Teil desselben Lebenssachverhalts, der schon dem früheren Strafverfahren zugrunde gelegen hatte. Auch wenn die den Mordverdacht begründenden Umstände erst nachträglich bekannt geworden sind, steht die frühere Verurteilung des Angeschuldigten einer weiteren Bestrafung entgegen.

Der Angeschuldigte, der sich im April 2015 dem IS in Syrien angeschlossen hatte, war am 5. Juli 2016 wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt worden. Nach dem damaligen Ermittlungsergebnis, das in dieser Hinsicht allein auf den Angaben des Angeschuldigten beruhte, war der Angeschuldigte als Mitglied des IS bei der Hinrichtung auf dem Marktplatz in Palmyra im Juni 2015 anwesend, ohne sich unmittelbar an der Hinrichtung beteiligt zu haben. Die neue Anklage des Generalbundesanwalts stützt sich auf nachträglich veröffentlichtes Videomaterial, welches den wirklichen Umfang der Mitwirkung des Angeschuldigten an dieser Hinrichtung im Sinne der Anklage zeigen soll.

Danach soll der Angeschuldigte als Teil des sechsköpfigen Exekutionskommandos bei der Bewachung der sechs hinzurichtenden Gefangenen geholfen und einzelne Gefangene festgehalten und zum Hinrichtungsplatz geführt haben. Weiterhin soll er seine Mittäter, darunter die Schützen, durch lautes Rufen angefeuert haben. Der Generalbundesanwalt hält den Angeschuldigten insofern des mittäterschaftlich begangenen Mordes, der Tötung von nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Personen im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Sinne des § 129b StGB für schuldig.

Die nunmehr angeklagten Handlungen des Angeschuldigten, die seine Mittäterschaft bei der Hinrichtung begründen sollen, waren im Jahr 2016 zwar nicht unmittelbar Gegenstand der Anklage, wohl aber der Lebenssachverhalt, in den sie untrennbar eingebettet waren: Schon damals war Gegenstand der Anklage, dass der Angeschuldigte die zur Hinrichtung bestimmten Personen in Kenntnis des ihnen bevorstehenden Schicksals zusammen mit anderen IS-Mitgliedern zum Marktplatz in Palmyra begleitet hatte und während der Hinrichtung als IS-Mitglied mit einer Pistole bewaffnet – und damit keineswegs zufällig oder gar als Unbeteiligter – zugegen war; dieses Geschehen sollte – auch nach der damaligen Anklage – gefilmt und in einem Propagandavideo verwendet werden, wobei sich weitere Filmaufnahmen zu demselben Zweck im Laufe des Tages anschlossen. Dem entsprachen auch die im Urteil vom 5. Juli 2016 getroffenen tatsächlichen Feststellungen.

Der abgeurteilte Sachverhalt umfasst damit bereits die Rolle des Angeschuldigten bei der Hinrichtung im April 2015, die entsprechend dem damaligen Strafverfolgungswillen des Generalbundesanwalts im ersten Prozess auch als mitgliedschaftliche Beteiligungshandlung des Angeschuldigten gewertet worden ist. Das nachträglich bekannt gewordene Videomaterial lässt diese Rolle des Angeschuldigten zwar in einem anderen Licht erscheinen als nach dem damaligen Ermittlungsstand angenommen, diese neuen Erkenntnisse betreffen dennoch ein- und dasselbe Geschehen verstanden als einheitlicher Lebensvorgang wie die frühere Anklage, mag dieses Geschehen auch aus heutiger Sicht rechtlich anders zu bewerten sein.

In Bezug auf denselben, bereits abgeurteilten Lebensvorgang, zu dessen Aufklärung nachträglich neue Beweismittel auftauchen, ist die Strafklage verbraucht und ein erneutes Verfahren ist unzulässig. Das Risiko der unvollständigen Sachaufklärung trägt in einer solchen Situation der Staat. Dieses Doppelbestrafungsverbot kennt nach Art. 103 Abs. 3 GG keine Ausnahmen und lässt sich aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit nicht einmal korrigieren, wenn wie hier dem Verurteilten im Nachhinein ein Tötungsdelikt und damit eine weitaus schwerer wiegende Straftat vorzuwerfen ist.

Gegen die Nichtzulassung der Anklage kann der Generalbundesanwalt das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde einlegen, über die der Bundesgerichtshof zu entscheiden hätte.

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Urheber: Hanseatisches Oberlandesgericht – Gerichtspressestelle
RiOLG Dr. Kai Wantzen