Gesunde ERNÄHRUNG – GefĂ€hrlicher Modetrend: „Frei von“-Lebensmittel nur fĂŒr wenige Menschen empfehlenswert

ErnÀhrungsfachgesellschaft mit Sitz an der Uni Hohenheim betont, dass Nahrungsmittel-UnvertrÀglichkeiten entgegen des Scheins nicht zunehmen / SNFS Dialog in Bonn.

Gesundheitsratgeber-24-Gesunde-ErnĂ€hrung-Aktuell-Gesunde ERNÄHRUNG – GefĂ€hrlicher Modetrend: FĂŒr Menschen mit echten UnvertrĂ€glichkeiten und Allergien gegen Nahrungsmittel sind sie ein Segen, doch fĂŒr alle anderen nur selten die bessere Wahl: „Frei von“-Lebensmittel, etwa ohne Gluten oder ohne Laktose, liegen derzeit voll im Trend.

Das birgt Gefahren. Denn wer Lebensmittel mit wertvollen NĂ€hrstoffen ohne medizinischen Grund einfach weglasse, verzichte auch auf deren gesundheitlichen Nutzen, warnen die Mitglieder der ErnĂ€hrungsfachgesellschaft Society of Nutrition and Food Science (SNFS) mit Sitz an der UniversitĂ€t Hohenheim in Stuttgart. Am 21. Oktober 2019 diskutierten sie im UniversitĂ€tsclub Bonn ĂŒber das Thema „NahrungsmittelunvertrĂ€glichkeiten und -allergien – Modekrankheiten oder Stoffwechselstörungen mit zunehmender Bedeutung?“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe „SNFS Dialog“.

Muffins ohne Gluten, Joghurt ohne Laktose – „Frei von“-Lebensmittel gelten bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern heute als besonders gesund. Immer mehr Menschen scheinen von NahrungsmittelunvertrĂ€glichkeiten und -allergien betroffen zu sein, von GlutensensitivitĂ€t ĂŒber Laktose- oder Fruktoseintoleranz bis zu Allergien gegen Milcheiweiß, Fisch oder NĂŒsse.

Doch der Schein trĂŒgt: „Die Supermarkt-Regale sind zwar mittlerweile voll mit teuren Spezial-Lebensmitteln, die darauf eingehen, doch NahrungsmittelunvertrĂ€glichkeiten haben in den letzten Jahren nicht zugenommen“, stellt Prof. Dr. Jan Frank fest. Er ist ErnĂ€hrungswissenschaftler an der UniversitĂ€t Hohenheim und Vorsitzender der SNFS.

ErnĂ€hrungsthemen und Kochshows seien in den Medien immer prĂ€senter. Das könne eine Ursache fĂŒr die zunehmende Sensibilisierung der Bevölkerung sein und dafĂŒr, dass sich selbstdiagnostizierte UnvertrĂ€glichkeiten und Allergien heute hĂ€ufen, vermutet der Experte.

„Frei von“ bedeutet oft Verzicht auf wertvolle Inhaltsstoffe

„Immer mehr Menschen glauben, dass sie bestimmte Nahrungsmittel nicht mehr vertragen. Doch diese Vermutung kann wissenschaftlich nicht bestĂ€tigt werden“, bekrĂ€ftigt auch Dr. Claudia Laupert-Deick, die in Bonn die Praxis fĂŒr ErnĂ€hrungstherapie und Beratung leitet.

Doch fĂŒr Menschen ohne nachgewiesene Allergie oder Intoleranz haben „Frei von“-Produkte in den meisten FĂ€llen nicht nur keinen Mehrwert – im Gegenteil: Zum Beispiel reduziert man gleichzeitig mit dem Gluten, dem Klebereiweiß im Getreidekorn, oft auch den Vollkornanteil am Essen. Doch „Lebensmittel wie Vollkorn- und Milchprodukte haben einen hohen gesundheitlichen Nutzen und werden nur von wenigen Deutschen nicht gut vertragen“, hebt Dr. Laupert-Deick hervor.

Nur etwa 2-5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland hat eine nachgewiesene Allergie gegen bestimmte Nahrungsmittel oder -inhaltsstoffe, wie zum Beispiel Zöliakie, also GlutenunvertrĂ€glichkeit. Hier gelte es, sorgfĂ€ltig zu unterscheiden. Die Expertin betont: „Es erfordert ein differenziertes Vorgehen, LebensmittelunvertrĂ€glichkeiten zu diagnostizieren und diese gesundheitsförderlich zu behandeln.“

Sinnvolle DiÀt setzt sorgfÀltige Diagnose voraus

Auch Prof. Dr. Jörg Kleine-Tebbe vom Allergie- und Asthmazentrum Westend in Berlin empfiehlt, erst einmal genauer hinzuschauen und verschiedene Dinge nicht zu verwechseln. „Nahrungsmittelallergien bezeichnen immunologisch vermittelte UnvertrĂ€glichkeitsreaktionen gegen Nahrungsmittel“, erlĂ€utert er. Doch dabei mĂŒsse man zwischen primĂ€ren und sekundĂ€ren Nahrungsmittelallergien unterscheiden.

„PrimĂ€re Nahrungsmittelallergien treten eher im SĂ€uglings- und Kleinkindalter gegenĂŒber stabilen Proteinen in Grundnahrungsmitteln auf. Probleme bereiten dann Kuhmilch, HĂŒhnerei, Weizen, ErdnĂŒsse, BaumnĂŒsse oder Fisch“, so der Experte. Doch wĂ€hrend sich Reaktionen auf die ersten drei Lebensmittel hĂ€ufig nach wenigen Jahren zurĂŒckbilden, können Reaktionen auf die letzten drei lebenslang bestehen bleiben.

Anders verhalte es sich mit sekundĂ€ren Nahrungsmittelallergien, erklĂ€rt Prof. Dr. Kleine-Tebbe. „Sie entstehen durch Ă€hnliche Proteine in Pollen, etwa Birkenpollen, und pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Kern- und Steinobst, NĂŒsse, Karotten oder Soja.“ Die Reaktionen seien bei sekundĂ€ren Nahrungsmittelallergien hĂ€ufig milder Natur, können aber im Einzelfall auch schwer ausfallen.

„In Europa sind erhebliche Fortschritte bei der Diagnostik und im Umgang mit Nahrungsmittelallergien erzielt worden“, betont Prof. Dr. Kleine-Tebbe. Diese, so seine Empfehlung, sollten Betroffene nutzen. „Leider werden hierzulande untaugliche Methoden bei Nahrungsmittelallergien und -unvertrĂ€glichkeiten angeboten, die zur Verwirrung und unberechtigten DiĂ€ten bei den Betroffenen beitragen“, warnt er.

Oft vernachlÀssigt: Psychologische Aspekte bei echter Stoffwechselstörung

Die Menschen, die von einer echten Stoffwechselstörung betroffen sind, befinden sich in einer schwierigen Situation: „Je nach Schweregrad der Nahrungsmittelallergie ist die emotionale und soziale Belastung gerade bei erkrankten Kindern und deren Angehörigen – insbesondere der Mutter – sehr hoch“, betont Prof. Dr. Nanette Ströbele-Benschop vom Institut fĂŒr ErnĂ€hrungsmedizin an der UniversitĂ€t Hohenheim.

„In allen Bereichen der LebensqualitĂ€t sind EinschrĂ€nkungen bei den Betroffenen sowie in deren Umfeld zu beobachten – vor allem im Bereich der psychologischen Gesundheit und den sozialen Beziehungen.“

Doch das werde oft unterschĂ€tzt und vernachlĂ€ssigt. „Das Ausmaß der psychologischen Belastung des Einzelnen und dessen Angehörigen durch Nahrungsmittelallergien wird selten von zustĂ€ndigen Ärzten und dem Fachpersonal thematisiert oder beforscht“, weiß die Expertin. Sie plĂ€diert dafĂŒr, gerade auch die psychologischen und sozialen Aspekte stĂ€rker in den Fokus zu rĂŒcken.

Im Zweifelsfall ein Kompromiss: reduzieren, aber nicht komplett weglassen

Es bleibt jedoch das Problem, dass manche Lebensmittel vielen Menschen ohne echte Stoffwechselstörung Beschwerden verursachen. Auch fĂŒr sie hat Prof. Dr. Frank einen Rat: „Wer das GefĂŒhl hat, bestimmte Nahrungsmittel nicht gut zu vertragen, sollte diese reduzieren, aber sie im Sinne einer ausgewogenen, vielfĂ€ltigen ErnĂ€hrung nicht komplett weglassen.“ Mit diesem Kompromiss könne man gefahrlos ausprobieren, was einem gut bekommt.

HINTERGRUND: Society of Nutrition and Food Science e.V. (SNFS)

Die Society of Nutrition and Food Science e.V. (SNFS) ist ein gemeinnĂŒtziger Verein mit Sitz an der UniversitĂ€t Hohenheim, der allen Personen, die ein Interesse an den Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften haben, eine gemeinsame Plattform bietet und die Forschung und Ausbildung in diesem Bereich voranbringen möchte. Die SNFS veröffentlicht wertfreie Stellungnahmen zu aktuellen, kontroversen Forschungsergebnissen aus den ErnĂ€hrungs- und Lebensmittelwissenschaften. Außerdem veranstaltet sie internationale Kongresse, Dialogveranstaltungen, Workshops, Seminare sowie Symposien und ist Herausgeberin einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift, NFS Journal (https://www.journals.elsevier.com/nfs-journal).

***

Text: Elsner
UniversitÀt Hohenheim
Pressestelle
70593 Stuttgart

Autor: Redaktion Medizin und ErnÀhrung