Pirmasens – Gästeführer machen wechselvolle Stadtgeschichte erlebbar

Mittelrhein-Tageblatt - Deutsches Tageblatt - News - Pirmasens -Pirmasens – Die wechselvolle Geschichte der Siebhügelstadt bewegt Touristen wie Pirmasenser gleichermaßen. Im vergangenen Jahr haben 311 Interessierte (2018: 264) an den zwölf offenen Gästeführungen teilgenommen.

Die leichte Steigerung führt Stadtarchivarin Heike Wittmer nicht zuletzt auf die Eröffnung der City-Star-Jugendherberge zurück. Zwischen Mitte April und Ende Dezember 2019 verzeichnete die Einrichtung über 20 500 Übernachtungen – ein Quantensprung für die strukturelle wie touristische Entwicklung von Pirmasens.

Beflügelt von den guten Ergebnissen hat Wittmer zusammen mit ihren Mitarbeitern Norman Salzmann und Peter Felber in enger Abstimmung mit den 16 ausgebildeten Gästeführern das Programm für 2020 konzeptioniert. Zwischen Januar und November werden elf Termine angeboten.

Los geht es im Januar mit der Westwall-Führung, die unter dem Titel „Unternehmen Nordwind“ steht. So wurde die letzte Offensive deutscher Streitkräfte an der Westfront genannt. Die Kampfhandlungen fanden zwischen 1. Dezember 1944 und 25. Januar 1945 im Elsass und in Lothringen statt. Der Vorstoß, der bis zur Einnahme Straßburgs führen sollte, scheiterte unter anderem an dem starken Widerstand der alliierten Kräfte. Trotzdem hielten deutsche Kräfte wieder rund 40 Prozent des Elsass besetzt. Gästeführer Michael Gaubatz zeichnet im Westwallmuseum die Ereignisse nach und stellt das imposante Festungswerk vor, das heute als ein Mahnmal des Friedens gilt. Von 1938 bis 1940 wurde an dem Festungswerk gearbeitet. Das Tunnelsystem sollte ursprünglich über 14 Kilometer hinweg durch den Berg verlaufen. Nachdem die Arbeiten im Sommer 1940 zugunsten des Atlantikwalls eingestellt wurden, waren rund fünf Kilometer der Hohlgänge vorangetrieben.

„Unter Strom: Antrieb und Mobilität zur Jahrhundertwende“, unter diesem Titel steht die Führung im März. Sie widmet sich unter anderem der ehemaligen Pirmasens Straßenbahn, die 1905 offiziell in Betrieb genommen wurde. In den Folgejahren beförderte die „Funkeschees“ durchschnittlich eine Million Menschen pro Jahr. Die Tram fuhr ursprünglich über zwölf Stationen vom Bahnhofsvorplatz bis zum städtischen Krankenhaus. Gästeführer Herbert Pfeffer nimmt bei der Tour ebenso Bezug auf die Inbetriebnahme des Elektrizitätswerkes und der Einführung der Gasbeleuchtung, die den Grundstein für den industriellen wie verkehrstechnischen Aufschwung der Siebenhügelstadt bilden. Die Orte innerhalb der zentralen Innenstadt stehen bei diesem Rundgang stellvertretend für die Transformation vom einstigen Walddorf über die Garnisonsstadt zur Deutschen Schuhmetropole.

Zum Abschluss der Führung wir die Fotoausstellung „Gestern und Heute“ im Begegnungszentrum „Mittendrin“ in der Hauptstraße besichtigt. Die Bildergalerie zeigt historische Aufnahmen zum Thema „Technik“.

Die innerstädtischen Kirchen und ihre Geschichte(n) stehen im Mittelpunkt der Führung „Glockenläuten am Horeb“. Im März begleitet Dr. Wolfgang Brendel die Teilnehmer zu den Gotteshäusern. Neben den ältesten Kirchen, der Lutherkirche in der Fußgängerzone und der Johanneskirche am Exerzierplatz, steht natürlich auch die größte Kirche der Stadt, St. Pirmin, benannt nach dem Namenspatron von Pirmasens, auf dem Programm. 1900 wurde das katholische Gotteshaus eingeweiht, das heute als eines der Pirmasenser Wahrzeichen gilt. Gegenüber befindet sich das Nardinihaus, das auf den Seligen Paul Josef Nardini (1821-1862) zurückgeht, der als Sozialreformer und Ordensgründer die Geschichte der Stadt maßgeblich mitprägte.

Von Grenadieren, Militärmusik und Geisterfurcht handelt die abendliche Gästeführung im April. Unter der Überschrift „Nachts im Museum“ berichtet Rainer Schnur über die Marotten des Landgrafen Ludwig IX. Der Stadtgründer galt schon zu Lebzeiten als Exzentriker. Sein Pirmasens war die bunte Stadt der Grenadiere, wo man lieber exerzierte, als in Kriege zu ziehen. Als Soldatenvater machte sich der Adelige über die Grenzen hinaus einen Namen, aber auch durch seine Vorlieben und Ängste. Die Militärmusik war eine seiner Passionen, so sammelte und komponierte er Märsche.

Die bewegten Geschichte des Fußballklub 1903 Pirmasens e.V. rückt bei der Führung im Wonnemonat Mai in den Mittelpunkt. „Die Klub“, wie der Verein von den Anhängern genannt wird, ist eines der traditionsreichsten sportlichen Aushängeschilder der Horebstadt. Im südwestdeutschen Fußball entwickelte sich der FKP nach dem Ersten Weltkrieg zu einem großen Namen. Ursula Neubauer und Norman Salzmann berichten unter der Überschrift „Schuss und Tor“ Wissenswertes zur Vereinsgeschichte. Eine Führung durch das Framas-Stadion im Sportpark Husterhöhe rundet den Nachmittag ab. Ein Muss für alle Pirmasenser Fußballfreunde.

Der „Gründerzeit in Pirmasens“ ist die Juni-Führung gewidmet. Lothar Leiner nimmt die Gäste auf einen Rundgang durch das Bahnhofsviertel mit. Pirmasens war in seiner über 250-jährigen Stadtgeschichte starken Veränderungen unterworfen – vom Ende der Landgrafenzeit bis zur Entwicklung der industriellen Schuhfertigung. Auf seinen sieben Hügeln wuchs eine Schuhmetropole heran, die von ihren zahlreichen Fabriken und Zulieferbetrieben geprägt war. Während über den Dächern die Fabrikschlote qualmten, stieg die Produktion schon Anfang des 20. Jahrhunderts in die Millionenzahl. Der starke Zuwachs hatte manche Hindernisse zu überwinden, wie zum Beispiel die schwierige Verkehrsanbindung oder die Versorgung der Industrie.

Im Sommerferienmonat Juli geht es im „Naherholungsgebiet Strecktal“ auf Entdeckungsreise. Helga Knerr und Ute Jaquet-Wagner zeichnen den Wandel des einstigen Industrieareals der von sieben Gerbereien und der Schuhfabrik Rheinberger dominiert wurde, hin zum populären touristischen Ausflugsziel nach. Der Spaziergang umfasst aber auch Einblicke in die Zeit des Landgrafen, der das Tal beanspruchte, um seine Münzprägung sicherzustellen. Ende der 1990er-Jahre entstanden die ersten Planungen für den 15 Hektar großen Landschaftspark – im Zuge um die Bewerbung um die erste rheinland-pfälzische Gartenschau. Heute lädt die grüne Lunge im Herzen der Stadt zum Erholen, Spazieren und Spielen ein.

Mit dem „Heimkehrerfest“ befasst sich intensiv die August-Führung mit Dr. Wolfgang Brendel. Im September 1939 wurde aus einem 500 Kilometer langen Streifen entlang der Westgrenze die sogenannte „Rote Zone“. Binnen Stunden mussten die Menschen ihrer Heimat verlassen und wurden zum Großteil in das Gebiet Main-Franken evakuiert. Neben Pirmasens waren noch 33 weitere Dörfer und Gemeinden aus dem Landkreis betroffen. Die Freude der Menschen war groß, als sie am 1. September 1940 wieder zurückkehren durften. Aus diesem Anlass wurde auf der „Platte“, einem Waldstück im Stadtteil Ruhbank, ein großes Heimkehrerfest mit rund 60 000 Besuchern gefeiert.

Die Topographie von Pirmasens birgt bis auf den heutigen Tag so manche Herausforderung. Bereits in den 1870er-Jahren erschwerte die Lage zwischen den Hügeln Horeb, Husterhöhe und Blocksberg die Wasserversorgung der Bürger. In der expandierenden Stadt waren die Wasservorkommen nicht nur spärlich, sondern auch oft – was das Trinkwasser betraf – von schlechter Qualität. Aus diesem Grund wurde der Bau eines Wasserwerks im benachbarten Rodalben angestrebt, dessen besondere Herausforderung in dem Höhenunterschied lag. So musste ein ausreichender Druck innerhalb des Netzes geschaffen werden, um auch höher gelegene Häuser mit Wasser zu versorgen. Klaus Brenner nimmt die Besucher mit auf den Rundgang „Von der Quelle bis zum Wasserwerk“.

„Mit dem Bus in die Geschichte“ heißt es im Oktober, wenn Gäste auf eine spannende Zeitreise durch die Pirmasenser Industriegeschichte gehen. Die Teilnehmer der Omnibus-Tour erleben eindrucksvoll, wie der einst dominierende Industriezweig das Stadtbild mit seiner Architektur geprägt hat. Die von Ute Jaquet-Wagner moderierte Rundfahrt ist nicht nur reine Reminiszenz, sondern auch ein Blick in die Zukunft. Das Stichwort „Transformation“ ist prägend für Pirmasens, einer Stadt im Wandel, die sich ständig neu erfindet. Die Fahrt eignet sich ideal für Besucher, die etwas über „Schlabbe“ und die Schuhproduktion erfahren möchten, sich für Bauwerke interessieren oder Geschichten und Anekdoten rund um den Landgrafen Ludwig IX. und seine Soldaten hören möchten.

Den Jahresreigen beschließt im November die Führung „Stilles Gedenken“. Von der Stele am Hauptbahnhof aus – sie wurde 2014 als zentralen Gedenkstätte für die Verfolgten der NS-Zeit eingeweiht – unternimmt Gerd Blinn mit den Gästen einen Spaziergang durch die zentrale Innenstadt. Inzwischen erinnern mehr als 30 Personen- und Sachtafeln an Menschen und deren Schicksale sowie die Machenschaften des Regimes, die deren Verfolgung überhaupt erst möglich gemacht haben.

Info: Die offenen Gästeführungen der Stadt finden jeden ersten Samstag zwischen Januar und November statt. Beginn ist jeweils um 14.30 Uhr, soweit nicht anders vermerkt.

Erwachsene zahlen für die Teilnahme pro Person drei Euro; Kinder (bis 14 Jahre) sind frei. Abweichende Preise (etwa bei der Zeitreise mit dem Bus bzw. der Führung durch das Festungswerk Gerstfeldhöhe oder „Nachts im Museum“) sind vermerkt. Eine Anmeldung ist in der Regel nicht erforderlich. Weitere Auskünfte erteilt das Stadtarchiv unter der Telefonnummer 06331/842299 .

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