Pirmasens – Kaufhalle: Abriss schafft Perspektive für nachhaltige Stadtentwicklung

Mittelrhein-Tageblatt - Deutsches Tageblatt - News - Pirmasens -Pirmasens – Stadtentwicklung: Pirmasens setzt mit der Neuordnung des ehemaligen Kaufhallen-Areal einen weiteren wichtigen Impuls für eine nachhaltige Innenstadt-Entwicklung. Die umfangreichen Arbeiten zum Abriss der großflächigen Gewerbe-Immobilie beginnen voraussichtlich Mitte Mai.

Seit 2006 steht das ehemalige Warenhaus leer. Sechs private Investoren hatten bisher erfolglos versucht, den einst stark frequentierten Einzelhandelsstandort zu revitalisieren. Ausnahmslos alle Entwickler waren an den höchst komplexen Eigentumsverhältnissen gescheitert. Nach langwierigen Verhandlungen mit Erbengemeinschaft und Eigentümern war es 2017 dem damaligen Oberbürgermeister Dr. Bernhard Matheis gelungen, das prominente Grundstück zu erwerben, um den Weg für ein integratives städtebauliches Gesamtkonzept zu ermöglichen.

Nach 14 Jahren Dornröschenschlaf ist die Bausubstanz des viergeschossigen Hauptgebäudes samt Anbauten in einem schlechten Zustand. Die Immobilie hat eine Nutzfläche von rund 5 200 Quadratmetern. Das Grundstück an der Ecke von Schloßstraße und Höfelsgasse ist fast 1 900 Quadratmeter groß, das entspricht etwas mehr als sieben Tennisplätzen. Im Keller der Immobilie – dort befand sich früher ein Lebensmittelmarkt – sitzt eine Trafo-Netzstation der Stadtwerke. Sie versorgte einst nicht nur die Kaufhalle selbst, sondern beliefert heute noch das Umfeld mit Strom.

Durch den bevorstehenden Abbruch und der damit einhergehenden Baureifmachung eröffnen sich neue Perspektiven zur Stärkung des Quartiers rund um den Exerzierplatz. Angedacht ist eine nachhaltige wie qualitätsvolle Aufwertung, die idealerweise architektonische Akzente setzt und eventuell sogar zu einem neuen Identifikationspunkt der Innenstadt heranreift.

Dem Areal kommt aufgrund der exponierten Lage eine wesentliche Bedeutung zu. Das Schlüsselgrundstück auf der Ost-West-Achse zwischen Messegelände und Bahnhof wirkt als Scharnier zur Fußgängerzone. Innerhalb des Masterplan Innenstadt – das Papier ist ein Handlungsleitfaden zur Steuerung des komplexen Umstrukturierungsprozesses der Kernstadt – ist das Kaufhallen-Areal ein weiterer entscheidender Baustein. Beispielhaft seien die erfolgreichen Impulsprojekte Medicenter, City-Star-Jugendherberge, Rheinberger-Komplex mit Strecktalpark, Forum Alte Post und Hauptbahnhof genannt.

Der Stadtumbau wird nicht zuletzt dank Fördermitteln von Bund und Land möglich. Über das Programm „Aktive Stadtzentren“ wird beispielsweise auch die Ordnungsmaßnahme „Schloßstraße 21-23“ finanziert. 90 Prozent der Kosten für Abbruch und Altlastensanierung übernimmt das Land, den Rest steuert die Stadt Pirmasens bei. Im Herbst 2019 hatte der Stadtrat die Verwaltung beauftragt, die umfangreichen Arbeiten zum Rückbau öffentlich auszuschreiben. Nächster Schritt ist die Auftragsvergabe, die in der Stadtratssitzung am 27. April 2020 behandelt wird.

Stichwort: Die Kaufhalle ist ein Stück Pirmasenser Stadtgeschichte und eng mit dem Schicksal von Susanne und Moritz Kahn verbunden. Das Ehepaar betrieb bereits um die Jahrhundertwende in der Schloßstraße 23 eine Eisenwarenhandlung. Die Firma hatte sich auf Panzerschränke, Geldkassetten, Leder-, Post- und Kalkulationswagen spezialisiert. Am 28. Juli 1933 nahm sich Kahn das Leben, höchstwahrscheinlich als Folge der antisemitischen Hetze und des Boykottes jüdischer Geschäfte in seiner Heimatstadt.

Den Grundstein zum Warenhauskonzern Kaufhalle legte 1925 der deutsch-jüdische Kaufmann Leonhard Tietz. Er gründete 1925 in Köln die Ehape Einheitspreis-Handelsgesellschaft mbH. Die Pirmasenser Filiale wurde am 1. Oktober 1928 eröffnet – in angemieteten Räumen von Moritz Kahn ein. Die Ehape-Niederlassung befand sich zunächst in einem Anbau an der Ecke Schloßstraße/ Höfelsgasse. Im Zuge der Arisierung wurde der Konzern 1937 in Rheinische Kaufhalle AG umbenannt. Im Dezember 1938 übernahm die Kölner Warenhaus-Kette das Pirmasenser Grundstück von Kahns Witwe Susanne. Die damals 73-Jährige lebte zu diesem Zeitpunkt in einem Mannheimer Altenheim. Den Verkaufserlös in Höhe von 120 500 Reichsmark wurde offenbar auf ein Sperrkonto überwiesen, das Geld hat Kahn allerdings nie erhalten. Nach der Deportation – zunächst nach Gurs – starb Susanne Kahn im Dezember 1942 im französischen Internierungslager Nexon. An das Schicksal der Familie erinnert eine Gedenktafel am Kaufhallen-Gebäude. Der Arbeitskreis Geschichte der Juden in Pirmasens hat das bewegte Leben – unter Verwendung umfangreicher Recherchen von BBS-Schülern – nachgezeichnet. Ausführliche Informationen unter www.pirmasens.de/gedenkprojekt .

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges knüpfte die Kaufhalle am Exe schnell an die alten Erfolge an und entwickelte sich zu einer belieben Adresse. Das Sortiment reichte von Haushalts- und Spielwaren über Textilien und Schuhen bis hin zu Lebensmitteln und Kosmetik. Im Jahr 2000 veräußerte die Kölner Metro AG die defizitäre Kaufhauskette an den italienischen Textilhändler „Gruppo Coin“. Statt eines Comebacks kam das Aus für das Warenhaus. Nach 76 Jahren endete im Januar 2004 die Geschichte der Pirmasenser Kaufhalle. Die verbliebenen 45 Mitarbeiter – überwiegend Frauen – verloren ihren Job. Im Anschluss mietet sich die Neckermann AG in das Gebäude ein. Zwei Jahre bot die stationäre Vertriebsschiene des Frankfurter Versenders dort unter dem Namen „Radikalkauf“ einen Restpostenmarkt für Textilien an. Seit 2006 steht die Gewerbeimmobilie leer.

Hintergrund: Insgesamt sechs private Investoren haben zwischen 2004 und 2012 versucht das Areal zu entwickeln. Gründe des Scheiterns waren jeweils die höchst komplexen Eigentumsverhältnisse. Mit dem Ziel, das Grundstück für die Stadt zu erwerben, hatte 2013 der damalige Oberbürgermeister Dr. Bernhard Matheis intensive Verhandlungen mit Erbengemeinschaft und Eigentümer aufgenommen. Nach vier Jahren gelang der Stadtverwaltung 2017 sämtliche Grundstücke zu sichern. Seit Mai 2017 befindet sich das Areal in einem ausgewiesenen Sanierungs- und Städtebaufördergebiet. Parallel dazu wurde ein strukturiertes Bieterverfahren auf den Weg gebracht. Die Vergabe an einen geeigneten Investor in Gemeinschaft mit einem Architekten blieb erfolglos. Im Oktober 2018 stellte eine Entwicklergruppe um den Pirmasenser Architekten Christoph Arnold und Ideengeber Rolf Schäfer das Konzept „Schuhstadt“ dem Stadtrat vor – einem Fachmarktzentrum für Outdoor-Artikel und Schuhe.

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Stadt Pirmasens