Hamburg – Hamburgs Schulen verbessern die Sprachförderung

Sprachfördermaßnahmen werden ausgebaut, Modellprojekt geht in Serie.

Mittelrhein-Tageblatt - News aus Hamburg - Stadt-News -Hamburg – Schulsenator Ties Rabe hat heute ein Modellprojekt und weitere Maßnahmen zur Sprachförderung an Hamburgs Schulen vorgestellt. Rabe: „Hamburgs Schülerinnen und Schüler haben seit 2011 ihren langjährigen Rückstand in Deutsch insbesondere beim Lesen und beim Textverständnis aufgeholt. Heute entsprechen ihre Leistungen genau dem bundesdeutschen Durchschnitt. Dieser Fortschritt macht uns Mut. Aber wir wollen noch besser werden. Das gilt gerade für die Unterstützungen von Kindern mit Fluchthintergrund und schwachen Deutschkenntnissen. Deshalb bauen wir jetzt die Sprachförderung weiter aus.“

In einem Modellprojekt haben seit 2016 43 Schulen in Zusammenarbeit mit dem Landesinstituts für Lehrerbildung (LI) ein Konzept erprobt, das darauf abzielt, im Unterricht jedes Schulfaches zugleich auch die Sprachkenntnisse zu verbessern. Davon sollen Schritt für Schritt jetzt alle Hamburger Schulen profitieren. Ties Rabe: „Wir handeln, weil gute Sprachkenntnisse der Schlüssel für Bildung und Lebenschancen sind. Inzwischen hat jeder zweite Erstklässler Migrationshintergrund, über 5.700 Flüchtlingskinder lernen in den Regelklassen und auch immer mehr Kinder aus deutschsprachigen Familien haben Sprachförderbedarf. Das Projekt zeigt, wie Unterricht und Schule darauf noch besser eingehen können.“

Seit dem Projektstart „Deutsch als Zweitsprache im Fachunterricht“ haben bereits 16 Grundschulen, 20 Stadtteilschulen und 7 Gymnasien teilgenommen. Es zielt darauf ab, den Unterricht in jedem Schulfach so zu gestalten, dass Schülerinnen und Schüler mit schwachen Sprachkenntnissen das jeweilige Fach und zugleich die Sprache besser lernen. Erprobt wurde der neue Unterricht in den Fächern Deutsch, Mathematik, Sachunterricht, Naturwissenschaften und Gesellschaft. Die Lehrkräfte werden umfangreich vorbereitet: Nach einer einführenden schulinternen Lehrerfortbildung für das gesamte Kollegium werden 28 fachspezifische Modulfortbildungen angeboten, dann folgen Workshops zur schulinternen Steuerung sowie Beratungen durch Schulentwicklungsbegleiter.

Kinder und Jugendliche erlernen zunächst die Alltagssprache, um in privaten und schulischen Lebenssituationen gut kommunizieren zu können. Dieser erste Schritt gelingt in der Regel sehr schnell. Doch jedes Unterrichtsfach hat noch seine eigene Fachsprache. Viele Aufgabenstellungen und Texte, zum Beispiel Berichte, Erörterungen, Versuchsprotokolle oder Text- und Quellenanalysen setzen spezifische fachsprachliche Kenntnisse voraus. Zudem müssen die Schülerinnen und Schüler sehr präzise formulieren und komplexe Texte verstehen lernen. Neu ist, dass der jeweilige Fachunterricht jetzt gezielt und ausführlich die jeweilige Fachsprache vermittelt.

Susanna Siegert, Schulleiterin Schule Ohrnsweg (Neugraben-Fischbek): „Mit dem Projekt gelingt es uns nicht nur, besondere Unterstützungsmaßnahmen für Kinder aus zugewanderten Familien zu entwickeln, sondern darüber hinaus wirken die beteiligten Fächer Mathematik und Sachunterricht als Multiplikatoren für eine kontinuierliche und aktive Qualitäts- und Unterrichtsentwicklung.“

Neue umfangreiche Unterrichtsmaterialien für Hamburgs Schulen

Zu den zahlreichen neuen Maßnahmen zählen auch neue Unterrichtsmaterialien. Seit der Flüchtlingskrise haben das Landesinstitut und die Schulbehörde viele Lernmaterialien mit Aufgabenblättern, Kopiervorlagen und Lehrerinformationen für den Unterricht von Flüchtlingskindern ausgearbeitet und in Ordnern gebündelt: 2015 der Ordner „Grammatisches Geländer“, 2016 der Ordner „Miteinander leben – Grundrechte vertreten – Gesellschaft gestalten“.

In den nächsten Wochen werden allen allgemeinbildenden Hamburger Schulen weitere Ordner mit Lernangeboten zur Verfügung gestellt: Der Materialordner „Schreibkompetenzen trainieren von A1 bis B1. Unterrichtsmaterial für Deutsch als Zweitsprache in der Sekundarstufe I“ mit Unterrichtsmaterialien für alltagsbezogene Schreibanlässe wird im Februar an die Schulen ausgeliefert, im Frühjahr folgt dann der Ordner „Fachunterricht mit „Deutsch als Zweitsprache-Schülern““ mit Lehrerhandreichung und Unterrichtsmaterial für Mathematik, Naturwissenschaften, Gesellschaft und Englisch. Die Hamburger Materialien werden auch bundesweit nachgefragt, mehrere andere Länder haben sie bestellt, um sie ebenfalls einzusetzen.

Die beiden Projekte werden von einer Vielzahl von erprobten und neuen Maßnahmen zur Sprachförderung flankiert. Fast 800 zusätzliche Lehrkräfte werden dafür eingesetzt.

• Vorschulische Sprachförderung: Im Rahmen der verpflichtenden Vorstellung aller 4,5-Jährigen bei der örtlichen Schule wird die Sprachentwicklung aller Hamburger Kinder überprüft. Alle Kinder mit Sprachförderbedarf müssen danach die Vorschule besuchen und nehmen dort an zusätzlichen Sprachförderkursen teil. 65 zusätzliche Lehrerstellen werden dafür eingesetzt.

• Additive Sprachförderung: Schülerinnen und Schüler mit besonderem Sprachförderbedarf werden nach dem Regelunterricht nach einem individuellen Förderplan mit zusätzlicher Lernzeit gefördert. Dazu muss jede Schule eine Lehrkraft zur Sprachlernberatung fortbilden und ein schuleigenes Sprachförderkonzept erarbeiten. 288 zusätzliche Lehrerstellen werden dafür eingesetzt.

• Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche ohne ausreichende Deutschkenntnisse besuchen vor der Regelklasse einjährige Vorbereitungsklassen. 353 zusätzliche Lehrerstellen werden dafür eingesetzt.

• Nach dem Wechsel von einer Vorbereitungsklasse in eine Regelklasse werden Kinder mit Sprachförderbedarf ein weiteres Schuljahr mit zusätzlichem Unterricht gefördert. 27 zusätzliche Lehrerstellen werden dafür eingesetzt.

• Hamburgs Schulen fördern die Mehrsprachigkeit von Kindern und Jugendlichen unter anderem durch den herkunftssprachlichen Unterricht (im Wahlpflichtbereich oder zusätzlich). 48 zusätzliche Lehrerstellen verteilt auf rund 15 Herkunftssprachen in rund 70 Schulen werden dafür eingesetzt.

• Zusätzlich werden immer mehr Lehrkräfte gezielt fortgebildet. So verzeichneten die Fortbildungsangebote des Landesinstituts für Lehrerbildung (LI) zum Thema „Deutsch als Zweitsprache (DaZ) seit 2015 über 10.500 Besuche von Lehrkräften. 223 Lehrkräfte haben sogar das aufwändige Hamburger DaZ-Zertifikat des Landesinstituts mit 30 Fortbildungsstunden, einer Abschlussarbeit und einem Kolloquium erworben.

Martin Teichmann, Fachleitung Gesellschaft an der Stadtteilschule Am Hafen zur Wirkung des Modellprojekts: „ … und plötzlich schreiben die Schüler nicht mehr nur einen Satz, sondern eine ganze Seite zusammenhängenden Text!“

Andreas Giese, Abteilungsleitung Fortbildung/Unterrichtsentwicklung am Landesinstitut und Projektleiter „DaZ im Fachunterricht“: „Mit dem Modellprojekt stoßen wir schulinterne Entwicklungsprozesse an, die weit über das Projekt hinaus wirken. Dafür werden die Schulleitungen als verantwortlich steuernde Akteure einbezogen und beraten, die Expertisen aus den Fächern und DaZ zusammengeführt, die Sprachlernberater und Fachleitungen qualifiziert und die laufenden schulischen Entwicklungsprozesse beratend begleitet.“

Marika Schwaiger, Koordinatorin Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und Sprachförderung am Landesinstitut und Projektkoordinatorin „DaZ im Fachunterricht“: „Als Verantwortliche für das Modellprojekt und für die Fortbildungen im Bereich Deutsch als Zweitsprache freue ich mich darüber, wenn die Kompetenzen der Lehrkräfte deutlich zunehmen, der Unterricht so nachhaltig weiterentwickelt werden kann und letztendlich die Schülerinnen und Schüler davon profitieren. Deutsch als Zweitsprache und Sprachförderung sind Querschnittsaufgaben, die nur gelingen können, wenn wir fächerübergreifend denken und arbeiten – am Landesinstitut und an den Schulen.“

Eric Vaccaro, Referatsleitung Steigerung der Bildungschancen (BSB): „Unter dem Dach des Hamburger Sprachförderkonzepts bündeln wir eine Vielzahl von aufeinander abgestimmten Einzelmaßnahmen und stellen Schulen eine große Zahl Lehrerstellen für die Sprachförderung zur Verfügung. Davon profitieren die wachsende Zahl von Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund und auch alle anderen.“

Auch die von Senator Rabe eingesetzte und mit eine mit namhaften Bildungsexperten und Didaktikern aus verschiedenen Bundesländern besetzte Expertenkommission Mathematik hatte kürzlich eine durchgängige fachbezogene Sprachförderung empfohlen.

Bund-Länder-Initiative “Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS)“

Hamburg nimmt an der gemeinsamen Bund-Länder-Initiative zur Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung “Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS)“ teil, ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm, das die sprachliche Bildung von Kindern sowie die in den Ländern eingeführten zahlreichen Angebote zur Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung im Hinblick auf ihre Wirksamkeit und Effizienz wissenschaftlich überprüft und weiterentwickelt. Darüber hinaus unterstützt das Programm die erforderliche Fort- und Weiterqualifizierung der Lehrkräfte in diesem Bereich.

Bereits 1.726 Prüfungen zum Deutschen Sprachdiplom DSD I

Bis zum Ende des letzten Schuljahres 2018 haben sich in Hamburg bereits 1.726 zugewanderte Schülerinnen und Schüler der Prüfung zum Deutschen Sprachdiplom (DSD I) unterzogen. Davon haben 1.090 erfolgreich ein B1-Zertifikat und 428 ein A2-Zertifikat erworben. Das DSD ist ein weltweit anerkanntes Sprachzertifikat, das Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2/B1 nachweist. Teilnehmen können aus dem Ausland zugewanderte Jugendliche ab 14 Jahren, die seit 12-18 Monaten eine Hamburger Schule besuchen. Die Aussicht auf eine Teilnahme an Sprachprüfungen steigert erfahrungsgemäß die Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern. Die beteiligten Schulen richten spezielle DSD-Vorbereitungskurse ein.

Bildungssprache Deutsch als KMK-Schwerpunktthema 2019

Da Sprachförderung und sprachsensibler Unterricht deutschlandweite Themen sind, hat die Kultusministerkonferenz (KMK) „Bildungssprache Deutsch“ zum inhaltlichen Schwerpunktthema 2019 gemacht und wird Konzepte und Vorschläge entwickeln. Das Hamburger Modell kann hier Vorbild sein, andere Bundesländer wollen von den Hamburger Erfahrungen und Ergebnissen profitieren.

Deutsch als Zweitsprache / Sprachförderung / Herkunftssprachlicher Unterricht

www.li.hamburg.de/daz-sprachfoerderung-hsu

Bund-Länder-Initiative “Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS)“

www.biss-sprachbildung.de

Bericht der Mathematik-Expertenkommission „Wissenschaftliche Begleitung des Mathematikunterrichts in Hamburg“ (Sprachförderung ab Seite 57)

www.hamburg.de/11904704

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Behörde für Schule und Berufsbildung – Stadt Hamburg