Das „Dorfauto-Projekt“ geht in die zweite Runde / Nutzung im ersten Jahr weitaus größer als erwartet.

Hunsrück – Umwelt-Aktion: Das erste Projektjahr ist gelaufen, die acht E-Autos vom Typ „Renault Kangoo maxi ZE“ wechseln in diesen Tagen ihre Standorte. Weitere acht Hunsrück-Dörfer kommen nun für ein Jahr in den Genuss eines Elektroautos, das ihre Bürgerinnen und Bürger kostenlos nutzen können. Das Erfolgsprojekt „Dorfauto“ geht in die zweite von drei geplanten Runden.
Die Bilanz des ersten Jahres hat auch Optimisten überrascht. Rund 350 Einwohner aus den ausgewählten Orten hatten sich als Nutzer registrieren lassen, fast 3.600 Buchungen sind registriert, mehr als 180.000 Kilometer sind die Autos – rein elektrisch – gefahren worden. Damit liegt die durchschnittliche Nutzung bei weit mehr als dem Doppelten dessen, was Carsharing-Unternehmen als jährliche Laufleistung kalkulieren.
Die enorme Resonanz belegt, dass die beiden vorrangigen Ziele von Kreisverwaltung und Energieagentur Rheinland-Pfalz für das Projekt „Dorfauto“ erreicht worden sind: erstens die Praxistauglichkeit der Elektromobilität individuell überprüf- und erfahrbar zu machen und zweitens Car-Sharing im ländlichen Raum vorzuführen.
Tatsächlich haben bereits einige Ortsgemeinden und auch Bürger signalisiert, das System künftig selbst in die Hand nehmen zu wollen. Bei einem Vorbereitungstreffen für die Fahrzeugübergabe berichteten „Kümmerer“ übereinstimmend von entsprechenden Anfragen.
Diesen „Kümmerern“ kommt eine zentrale Rolle beim kreisweiten Dorfauto-Projekt zu. Sie weisen die Nutzer in Buchungssystem und Fahrzeug-Bedienung ein, sorgen dafür, dass es mit dem Aufladen klappt und die Regeln eingehalten werden. All das leisten sie ehrenamtlich, wofür ihnen der Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises, Dr. Marlon Bröhr, ausdrücklich gedankt hat. Auch an den neuen Standorten werden „Kümmerer“ für ein reibungsloses Funktionieren sorgen.
„Die Elektromobilität gehört aufs Land!“, wird Kreisklimaschutzmanager Frank-Michael Uhle nicht müde zu verkünden. Denn anders als in Ballungsräumen ist auf der Hunsrück-Fläche eine bedarfsgerechte ÖPNV-Versorgung nicht zu gewährleisten – ungeachtet erheblicher Anstrengungen des Kreises in jüngster Zeit. Zudem ist der Rhein-Hunsrück-Kreis eine klassische Pendler-Region; auch Uhle legt an jedem Arbeitstag 110 km zwischen Wohnung und Dienststelle zurück – rein elektrisch.
Mobil ohne eigenes Auto
Rund 70.000 private Fahrzeuge sind im Rhein-Hunsrück-Kreis zugelassen – bei 103.000 Einwohnern. Für eine nachhaltige Verkehrswende wird neben der Abkehr von fossilen Kraftstoffen und Verbrennungsmotoren auch ein anderes Verhältnis zum Eigentum am Auto notwendig sein. Carsharing, in den Städten längst etabliert, galt bislang im ländlichen Raum als kaum zu verwirklichen.
Für kommerzielle Anbieter dürfte dies zutreffen, zumindest derzeit noch. Als Teil der Daseinsvorsorge, also getragen von kommunalen Körperschaften, erscheinen Carsharing-Modelle hingegen durchaus umsetzbar; zumindest legen die ersten Erfahrungen mit dem Dorfauto-Projekt diese Einschätzung nahe. Um die 7.000 Euro pro Jahr kostet jedes der Elektroautos an Leasingrate, Software und 24-Stunden-Hotline, für viele Gemeinden durchaus aufzubringen.
„Referenzregion“ für die Energiewende
Rund 120.000 Euro lässt sich der Rhein-Hunsrück-Kreis die Finanzierung des Projekts kosten – und setzt damit ein Zeichen, dass man sich nicht ausruhen wird auf dem Ehren-Titel als „Energiekommune des Jahrzehnts“ (verliehen im November 2018 von der Berliner Agentur für Erneuerbare Energien). Mehr als das Dreifache des eigenen Verbrauchs produziert der Landkreis an Strom aus Wind und Sonne, zahlreiche Nahwärmenetze verdrängen Öl- und Gasheizungen, LED-Tauschtage schärfen bei den Bürgern das Bewusstsein für eigene Möglichkeiten, etwas zur Energiewende beizutragen.
Regelmäßig überzeugen sich Delegationen vor Ort von der Wirksamkeit der Hunsrücker Ansätze; bis aus Japan oder Lateinamerika kommen Besuchergruppen. Dieses Interesse dürfte durch das „Dorfauto“-Projekt eher noch gesteigert werden: Aus der gesamten Bundesrepublik sind Anfragen dazu in Simmern eingegangen. Die Kreisverwaltung gibt gern Auskunft, ebenso wie das Regionalbüro Mittelrhein der Energieagentur Rheinland-Pfalz.
INFO-BOX 1, Kosten:
Leasing- und Software-Gebühren pro Jahr und Fahrzeug ca. 7000,– Euro, Vollkasko-Versicherung mit 1000 Euro SB eingeschlossen.
Kosten-Übernahme für die beiden ersten Jahre komplett durch den Rhein-Hunsrück-Kreis; die Verbandsgemeinden und die Stadt Boppard zahlen dann fürs dritte Projektjahr.
Evtl. anfallende Installationskosten für Ladepunkte tragen die Standort-Gemeinden.
INFO-BOX 2, Projekt-Statistik:
Gesamt Laufleitung 183.811 km (alle acht Fahrzeuge)
Durchschnitt 22.976 km (je Fahrzeug)
Niedrigster Wert 17.442 km (Niederkumbd)
Höchster Wert 31.825 km (Boppard-Oppenhausen)
Durchschn. Strecke je Buchung: 51 km
Nutzungen (Mieten): 3.598 (= durchschn. 1,25 Buchungen pro Tag)
INFO-BOX 3, Rhein-Hunsrück-Kreis:
Auf 991 km2 Fläche leben rund 103.000 Einwohner, verteilt auf 137 Städte und Ortsgemeinden.
Der Kreis ist stark ländlich geprägt, 75 % der Orte haben weniger als 500 Einwohner.
Der Kreis hat seit 2012 ein Klimaschutzkonzept und ebenso lange Frank-Michael Uhle als Klimaschutzmanager.
ZITAT Landrat Dr. Marlon Bröhr (CDU, seit 2015 im Amt):
„Ich bin sehr glücklich darüber, dass sich unser Dorfauto-Konzept innerhalb der Bürgerschaft so großer Beliebtheit erfreut. Deshalb bin ich auch zuversichtlich, dass wir zeitnah einige Gemeinden gewinnen können, die die Idee auf eigene Rechnung nachahmen.“
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Energieagentur Rheinland-Pfalz GmbH
Axel Bernatzki