#weitergedenken: Wie können wir erinnern und die Demokratie stärken? – Wie können wir die Erinnerung an die vielen Opfer wachhalten, an Millionen Menschen, die unter der nationalsozialistischen Diktatur gelitten haben und ermordet wurden? Und was haben diese Ereignisse von damals mit der Gegenwart und unserer Demokratie zu tun? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe“ #weitergedenken“ des Landtags Rheinland-Pfalz, die am 17. Juni 2024 zum zweiten Mal im Landtag stattfand. Dabei ging es vor allem auch um „Best Practice“-Beispiele an Schulen in Rheinland-Pfalz.
Die Veranstaltung setzte sich mit aktuellen Konzepten und Formaten zur Gedenkarbeit und Demokratiebildung auseinander. Der Fokus lag in diesem Jahr auf den von der NS-Diktatur verfolgten Opfergruppen und den Auswirkungen, die bis in unsere Gegenwart reichen. „Die Veranstaltung #weitergedenken will einerseits Bestandsaufnahme sein, andererseits aktuelle Tendenzen weiterdenken und so Zukunftsperspektiven eröffnen, wie aktuelle Impulse in konkrete Bildungsarbeit und Unterrichtskonzepte umgesetzt werden können“, sagte Landtagspräsident Hendrik Hering. „Auch angesichts der in jüngster Zeit immer unverhohlener geäußerten rechtsradikalen, menschenverachtenden und antisemitischen Parolen aus verschiedensten Bevölkerungsgruppen, hat eine solche Veranstaltung leider eine traurige Aktualität“, so Hendrik Hering.
Studien zeigten, dass es, wenn in Familien über die Zeit des Nationalsozialismus gesprochen werde, oft eine Verschiebung gebe: Viele würden denken, ihre Vorfahren waren Opfer des Nationalsozialismus. Die wenigsten könnten sich vorstellen, dass ihre Großeltern oder Urgroßeltern zu den Tätern gehörten. Es müsse also laut Hendrik Hering darum gehen, wie historisches Wissen in einer Zeit vermittelt werden könne, in der es bald keine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr gebe. Dabei sei insbesondere wichtig, einen emotionalen Zugang zur Geschichte zu schaffen. Zugleich werde beim Blick zurück aber auch klar, wie Rassismus und Hass auf bestimmte Menschen, die als „anders“ definiert wurden, in der NS-Zeit wie ein Gift in das Denken der Mehrheit eingesickert sei. Auch heute fühlten sich die Angehörigen dieser Gruppen noch immer oder schon wieder Hass und Hetze ausgesetzt. Deshalb wolle man mit der Veranstaltung besonders die Perspektiven dieser Menschen in den Mittelpunkt stellen, betonte der Landtagpräsident.
Wie Schulen erinnern
Bei der Veranstaltung präsentierten unter anderem vier rheinland-pfälzische Schulen Beispiele, wie sie regelmäßig an die Opfer der NS-Diktatur erinnern. Die Anne Frank Realschule Plus in Montabaur veranstaltet beispielsweise jedes Jahr am Geburtstag von Anne Frank, die als Kind kurz vor Kriegsende den Nazis zum Opfer fiel, am 12. Juni einen Aktionstag. „Die ganze Schule macht sich dann auf den Weg, recherchiert die Geschichte der Juden in der Region oder Anne Franks Leben. Sie lesen, schreiben auf, hören zu, recherchieren und basteln. Jede Jahrgangsstufe taucht auf ihre Weise in die Geschichte ein. Und anschließend – und das finde ich ganz hervorragend – feiern sie mit einem Fest der Kulturen die Vielfalt der Schule“, sagte Hendrik Hering.
Ebenso präsentiert wurden so genannte „Peer-to-Peer Projekte“, bei denen Schülerinnen und Schüler Rundgänge konzipieren wie zum Beispiel am Leibniz-Gymnasium in Neustadt. Dort gibt es die „Junior Memory Guides“. Die Idee dahinter: Junge Menschen zwischen 14 und 18 Jahren bringen anderen jungen Menschen Demokratie- und Diktaturgeschichte näher. Sie zeigen anderen Jugendlichen ihre Stadt unter diesem ganz besonderen Aspekt. Es gibt zurzeit 25 aktiver Junior Memory Guides.
Auch die Edith-Stein-Realschule in Speyer und das Humboldt-Gymnasium in Trier stellten im Landtag ihre Erinnerungsprojekte vor.
Zeitzeugengespräch im Plenarsaal
Neben einer Lehrerfortbildung am Vormittag richtete sich die Veranstaltung an die breite Öffentlichkeit. Beim Markt der Möglichkeiten präsentierten sich Opferverbände und Gedenkinitiativen, um über ihre Arbeit zu informieren. Bei der Abschlussrunde im Plenarsaal berichtete auch der Zeitzeuge und Sinto Christian Pfeil. Pfeil wurde Anfang 1944 im Ghetto Lublin geboren und überlebte die Shoah. Er lebt heute in Trier. Abgerundet wurde die Veranstaltung im Plenarsaal von einer Talkrunde mit Angehörigen von verschiedenen Opfergruppen, die darüber berichteten, welche Auswirkungen bis in die Gegenwart zu spüren sind.
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Text: Marco Sussmann via Birgit Schmitt-Paeslack – Landtag Rheinland-Pfalz