Kehrtwende in der Migrationspolitik in Großbritannien, London – Mit einer klaren Botschaft hat die britische Regierung unter Premierminister Keir Starmer eine grundlegende Neuausrichtung ihrer Einwanderungspolitik verkündet: Das „gescheiterte Experiment mit offenen Grenzen“ sei beendet. In einem neuen „White Paper on Immigration“ skizziert das Innenministerium ein umfassendes Maßnahmenpaket, das die Zuwanderung künftig drastisch begrenzen soll. Die Reformen betreffen nicht nur Drittstaatenangehörige, sondern auch Bürger aus der EU – mit spürbaren Konsequenzen.
Abschied vom „Care Worker Visa“ und neue Hürden für Arbeitsmigranten
Ein zentraler Bestandteil des Reformpakets ist die Abschaffung des sogenannten „Care Worker Visa“, das bisher vielen Pflegekräften aus dem Ausland – insbesondere aus dem Globalen Süden – eine Beschäftigung im britischen Gesundheitswesen ermöglichte. Die Regierung argumentiert, dass diese Regelung zwar kurzfristig Lücken im Pflegesektor füllte, langfristig aber weder nachhaltig noch integrationsfördernd gewesen sei.
Künftig wird für das reguläre „Skilled Worker Visa“ ein Hochschulabschluss vorausgesetzt. Damit fällt eine große Gruppe geringqualifizierter Arbeitskräfte aus dem Raster. Die Vergabe von Arbeitsvisa soll grundsätzlich zeitlich befristet und stärker an konkrete Bedarfsanalysen gekoppelt werden.
Doppelte Wartezeit für die Staatsbürgerschaft
Wer dauerhaft in Großbritannien leben möchte, muss sich auf deutlich längere Fristen einstellen. Die Wartezeit für eine Einbürgerung wird von fünf auf zehn Jahre verdoppelt – es sei denn, der Antragsteller kann nachweislich einen „messbaren Beitrag zur britischen Gesellschaft“ nachweisen. Wie dieser Beitrag konkret definiert wird, bleibt offen, was Kritik von Juristen und Menschenrechtsgruppen hervorgerufen hat.
Zusätzlich werden die Anforderungen an Sprachkenntnisse deutlich angehoben. Ein fortgeschrittenes Niveau in gesprochenem und geschriebenem Englisch wird zur Grundvoraussetzung für alle langfristigen Aufenthaltsgenehmigungen.
Starmer: „Das Leben in Großbritannien ist ein Privileg“
Premierminister Starmer rechtfertigte die Maßnahmen in einer Pressekonferenz mit deutlichen Worten: „Das Leben in Großbritannien ist kein automatisches Recht – es ist ein Privileg, das man sich verdienen muss.“ Die Kontrolle der Einwanderung sei entscheidend für sozialen Frieden, wirtschaftliche Stabilität und den Zusammenhalt der Gesellschaft.
Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 2024 verzeichnete Großbritannien eine Nettozuwanderung von rund 728.000 Menschen – ein Rekordwert, der die Sorgen vieler Briten über steigende Mieten, überfüllte Schulen und einen zunehmenden Druck auf das Gesundheitssystem verstärkte.
Reaktionen: Zustimmung, Kritik und Warnungen
Die Reformen stoßen innerhalb des Vereinigten Königreichs auf gemischte Reaktionen. Konservative und nationalkonservative Kreise begrüßten den Schritt als überfällig. Auch Teile der Bevölkerung äußerten Zustimmung in Umfragen – vor allem in wirtschaftlich schwächeren Regionen, wo der Druck durch Migration besonders spürbar sei.
Gewerkschaften, soziale Träger und Vertreter der Gesundheitsbranche hingegen kritisieren die Maßnahmen als „unrealistisch“ und „kontraproduktiv“. Bereits heute leidet das britische Gesundheitssystem unter einem akuten Fachkräftemangel. Die Abschaffung des Care Worker Visa könnte diesen Zustand weiter verschärfen.
Auch Wirtschaftsverbände zeigen sich besorgt: „Die neuen Regelungen entziehen vielen kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu dringend benötigten Arbeitskräften“, sagte der Präsident der British Chamber of Commerce.
Auswirkungen auf EU-Bürger – auch für Deutsche wird es schwieriger
Die neuen Regeln gelten für alle Nicht-Staatsbürger des Vereinigten Königreichs – auch für EU-Bürger, die seit dem Brexit ohnehin nicht mehr automatisch Niederlassungsfreiheit genießen. Für deutsche Staatsangehörige bedeutet dies: Wer in Großbritannien arbeiten oder studieren möchte, muss künftig strengere Visavoraussetzungen erfüllen und gegebenenfalls höhere Gebühren zahlen.
Experten warnen, dass dies nicht nur den akademischen Austausch erschweren könnte, sondern auch das Image Großbritanniens als weltoffenes Land beschädigen dürfte. Erste Reaktionen aus Brüssel deuten an, dass das Thema beim nächsten EU-Gipfel Mitte Mai zur Sprache kommen könnte – insbesondere mit Blick auf Handelsbeziehungen und Mobilitätsabkommen.
Fazit: Symbolischer und realer Wendepunkt
Mit dem Bruch mit der bisherigen Einwanderungspolitik setzt die britische Regierung ein innenpolitisch starkes Signal – und vollzieht eine Abkehr von der Globalisierungslogik früherer Jahrzehnte. Ob der neue Kurs jedoch wirtschaftlich tragfähig ist, bleibt fraglich.
Die Reformen verdeutlichen: Großbritannien stellt nationale Interessen wieder stärker in den Vordergrund. Die Idee eines offenen, vielfältigen Landes bleibt – zumindest in der offiziellen Politik – auf der Strecke. Für viele Migranten wird der Zugang zur Insel deutlich schwieriger. Was als Korrektur politischer Fehler verstanden wird, könnte sich langfristig als neue Herausforderung entpuppen (hk).