Stopp des Familiennachzugs? – Wenn Unionsfraktionsvize Alexander Dobrindt öffentlichkeitswirksam ein „sofortiges Ende des Familiennachzugs“ fordert, klingt das nach einem harten Kurswechsel in der Migrationspolitik. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Ankündigung als hochgradig irreführend – denn betroffen ist nur eine kleine Minderheit der Schutzsuchenden. Kritiker sprechen inzwischen von bewusster Täuschung der Öffentlichkeit durch die Union.
Tatsächlich geht es bei Dobrindts Forderung ausschließlich um den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte – also Menschen, die zwar kein reguläres Asyl erhalten haben, aber dennoch nicht abgeschoben werden können, weil ihnen im Herkunftsland etwa Folter, Todesstrafe oder Krieg droht. Für diese Gruppe wurde der Familiennachzug bereits 2018 massiv eingeschränkt und ist seitdem auf 1.000 Visa pro Monat begrenzt. 2023 wurde dieses Kontingent erstmals vollständig ausgeschöpft – insgesamt wurden 12.000 Visa erteilt.
Zum Vergleich: Im selben Jahr wurden über 130.000 Visa im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland vergeben, darunter allein über 23.700 für Familienangehörige von Menschen mit Schutzstatus. Der Anteil der subsidiär Schutzberechtigten am Gesamtaufkommen liegt also bei weniger als 10 %. Für über 90 % der Betroffenen – insbesondere anerkannte Flüchtlinge nach der Genfer Konvention – läuft der Familiennachzug ungehindert weiter.
Politische Gegner und Migrationsforscher werfen Dobrindt und der Union daher vor, gezielt ein falsches Bild zu zeichnen. Die plakative Forderung nach einem „Stopp“ suggeriere eine umfassende Maßnahme, die faktisch kaum Wirkung entfalten könne. Statt substanzielle Änderungen anzustoßen, betreibe die Union Symbolpolitik – mit dem Ziel, Wählerstimmen am rechten Rand zu gewinnen.
„Die CSU weiß ganz genau, dass der Großteil der Familiennachzüge davon nicht betroffen ist. Dennoch stellt man es so dar, als würde man hier ein Massenphänomen stoppen. Das ist bewusste Irreführung der Bürger“, kommentiert ein Migrationsrechtler gegenüber dem „Tagesspiegel“. Auch Sozialverbände und Kirchen äußern scharfe Kritik. Die Maßnahme sei nicht nur wirkungslos, sondern aus humanitärer Sicht auch zynisch – denn sie treffe Menschen, die ohnehin nur einen eingeschränkten Schutzstatus haben und oft jahrelang von ihren engsten Angehörigen getrennt bleiben.
Dobrindt rechtfertigt den Schritt mit dem Argument, „Pull-Faktoren“ zu beseitigen, also Anreize für Migration nach Deutschland zu verringern. Die tatsächliche Zahl der Betroffenen und die begrenzte praktische Auswirkung dieser Maßnahme sprechen jedoch eine andere Sprache – nämlich die einer gezielten politischen Inszenierung.
Für viele bleibt damit ein bitterer Nachgeschmack: Anstatt mit sachlichen Lösungen auf Herausforderungen der Migration zu reagieren, setzt die Union auf Schlagzeilen – auch um den Preis der gesellschaftlichen Spaltung und auf Kosten tausender betroffener Familien (hk).